Negative Gefühle waren lange Zeit die Staatsfeinde Nummer eins in meinem System. Die schönen, positiven waren natürlich willkommene Gäste, aber neben ihnen durfte auf gar keinen Fall ein Fremdling stehen! Erst viel später begriff ich, dass es notwendigerweise dazu gehört, auch die Fremden beziehungsweise die Unwillkommenen zu begrüßen. Denn ganz im radikalen Sinne des „Liebet eure Feinde“ gilt es alles anzunehmen, was sich in unserer Gefühlswelt im jeweiligen Augenblick auftut.
Ich möchte damit nicht sagen, dass man jedem Gefühlsimpuls nachgehen sollte. Es kommt erst einmal auf das reine Gewahrwerden unserer Gefühle an. Und manchmal reicht das diesen ‚Gästen‘ auch. Man nickt ihnen freundlich zu und dann machen sie sich auch ganz rasch wieder aus dem Staub.
Doch was sind eigentlich Gefühle? Was Emotionen? Und warum bewerten wir manche für uns als schlecht beziehungsweise als negativ?
Gerade Menschen, die sich zu einem friedlicheren, bewussteren Lebenswandel entscheiden, laufen manchmal Gefahr, den Anspruch an sich und andere zu erheben, sie müssten ab nun an nur noch gut gelaunt, liebevoll und friedlich sein. Doch dann drücken wir eventuell (zwischenmenschliche) Spannungen oder ganz simple schlechte Laune beiseite.
Doch weg sind die unangenehmen Gäste damit noch lange nicht! Sie machen es sich im Keller bequem und manchmal entzünden sie dort den einen oder anderen Schwelbrand…der dann schnell zum großen Flächenbrand werden kann.
Gesellschaftlich ist ebenfalls ein gewisser Druck zu spüren, dass man immer wohlauf, happy und relaxt zu sein hat, sonst stimme etwas nicht mit einem. Die platte Attitüde: „Ach, dir geht es nicht gut, du hast eine schlechte Zeit in deinem Leben?! Na, dann musst du etwas ändern und einfach deinem Herzen folgen“ (was immer das bedeutet für diejenigen, die so etwas äußern…) bringt uns keinen Schritt weiter, außer ganz weit weg von unseren eigentlichen, authentischen Gefühlen.
Bitte versteh mich nicht falsch! Ich bin die letzte die den Daueraufenthalt im Jammertal empfiehlt. Aber wenn wir uns nicht gut fühlen, negative Gedanken mit uns herumtragen, wir uns vielleicht sogar mit allem überfordert fühlen, sollten wir einfach erst einmal genauer hinschauen. Weder das Wälzen in Selbstmitleid noch das harsche Verdrängen negativer Impulse in unserem Innern bringen uns weiter.
Es gibt eigentlich keine negativen Gefühle, keine negativen Gedanken. Wir nennen sie nur so, weil wir uns mit ihnen nicht wohlfühlen. Weil sie einfach schlichtweg unangenehm sind oder vielleicht sogar echt weh tun. Und genau hier sind wir am entscheidenden Punkt: Unsere Gefühle und Gedanken wollen uns etwas über uns mitteilen. Und genau deshalb sollten wir hinhören und ihnen Raum geben. Auch sie gehören zu uns. Auch wenn sie nichts glamourös sind wie Freude, Liebe und Frieden im Herzen.
Wenn wir das Unangenehme verdrängen und wegschieben, ist es keines Falls weg. Gefühle, die nicht ausgelebt werden, werden zu Emotionen. Im schlimmsten Fall speichern wir sie körperlich und emotional ab und dann beginnt das Leiden erst so richtig.
Wenn wir aber das erst einmal für uns Unangenehme annehmen und es uns wirklich anschauen, können wir sehr viel über uns lernen und erfahren. Und wir werden auch ganz. Ja, sogar vielleicht heil auf jeder Ebene. Denn wie können wir das Licht sehen und verstehen wenn wir die Dunkelheit nicht sehen wollen?
Wie sollen wir unsere Lebendigkeit leben, wenn wir uns nicht unserer Endlichkeit bewusst sind?
Es geht also mal wieder um Annahme. Um das Hinschauen, sehen und verstehen wollen.
Als ich damit angefangen habe, konnte ich schnell feststellen, dass meine Angst vor dem unangenehmen Gefühl größer war als das eigentliche Gefühl. Und dass es sich schnell auflöst, wenn es gesehen beziehungsweise“gefühlt“ wurde.
Für ein hundertprozentiges Leben müssen wir ganz und alles fühlen. Nicht nur halb. Nicht nur hell und schön. Liebe deine Reise durch das Leben und fühle es –hundertprozentig.